„Sehr geehrte Max Planck Gesellschaft, …“ umfasst eine Materialsammlung, die nicht nur eine Forschungseinrichtung adressiert, sondern deren doppeldeutige Anrede bewusst gewählt ist. Inhalt des Projekts soll eine Gegenüberstellung von Individuum und Gesellschaft sein, deren Dialog nicht in gegenseitigen Einverständnissen, sondern in Schichten sich überlagernder und sich gegenseitig manipulierender Täuschungsmanöver stattfindet.
Überlegungen zum erzählerischen Potential von Dokumenten gaben den Anstoß für dieses Projekt, das seine Figuren über selbstverfasste oder an sie adressierte Unterlagen beschreibt. Ziel meiner Suche war darum eine Situation extremer Dissonanzen in der Wahrnehmung der beteiligten Personen, um die perspektivische Qualität der Aufzeichnungen auf bestmögliche Weise darstellen zu können.
Eine Gelegenheit zur Illustration dieser Idee fand sich 2007 in Hamburg im Zuge eines amourösen Abenteuers mit der jungen Assistenzärztin Annika von Stein. Sie erzählte mir von einem Patienten ihrer Abteilung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, dessen Krankheitsbild sich wie folgt darstellte: Ein Mann namens Stefan Schneider behauptete, auf eine Verschwörung Außerirdischer gestoßen zu sein. Seiner Meinung nach wurden Bäume auf der Erde nur gepflanzt, um über ihre Antennen-ähnliche Form Signale ins Weltall zu funken. Diese Paranoia motivierte den Mann zu einer größeren Zahl von Aufzeichnungen, Skizzen und Notizen, welche die Funktionsschemata der Funkbäume erklären sollten. Zwar wurden diese Informationen gefunden, der Patient wollte aber zum Zeitpunkt der Einlieferung nicht mehr über sie sprechen. Er musste durch Recherchen und verschiedene Täuschungsmanöver in eine Situation gebracht werden, die ihm eine gespielte, aber im Klinikumfeld reale Sicherheit vor Sanktionen der Außerirdischen garantierte.
Für meine Arbeit stellt diese Kooperation einen beispiellosen Glücksfall dar. Frau von Stein ist großer Dank für zahllose Denkanstöße und das zur Verfügung gestellte Material geschuldet. Am Beispiel dieser Unterlagen lässt sich ein Verhältnis von Patient und Gesellschaft illustrieren, das seine Relevanz und Aussagekraft der Unmittelbarkeit der Aufzeichnungen verdankt. Frau von Steins ausdrücklicher Wunsch, von einer wissenschaftlichen Publikation ebenso abzusehen wie vom Versuch einer journalistischen Enthüllung ist hiermit in der besten aller Möglichkeiten entsprochen worden.
Der vorliegende Bildband ist auch eine Anerkennung der ästhetischen Leistung Schneiders, die sich immer wieder vom wissenschaftlichen Anspruch der Unterlagen absetzt. Frau v. Stein und ich haben in zahllosen Sitzungen den großen Umfang an Material gesichtet und gemeinsam eine Auswahl getroffen, die eine aufeinander aufbauende Spirale von Täuschung und Selbsttäuschung im Fall Schneiders sichtbar macht. Diese Technik ist unserer Meinung nach als Therapieinstrument ungeeignet und seine Eignung speziell zur Behandlung psychischer Krankheiten mehr als umstritten, was die Motivation zur gemeinsamen Arbeit an diesem Buch maßgeblich beeinflusst hat. Diese Zusammenarbeit macht es nun möglich, am Schicksal des Patienten Schneider die soziokulturellen Realitäten zeitgenössischer Psychotherapie zu untersuchen. Ihrem Bezug auf gesamtgesellschaftliche Phänomene, sowie ihrer Illustration eines ambivalenten Realitätsentwurfs, trägt die vorliegende Publikation nach bestem Wissen und durch unermüdliches Engagement aller Beteiligten Rechnung.
Das Buch beginnt mit der Transkription eines Monologs, den Frau von Stein vom Patienten im Jahre 2008 vermittelt bekam und aus dem Gedächtnis rekonstruiert hat. Sie kann darum nicht für sich in Anspruch nehmen eine authentische Aussage Schneiders wiederzugeben, erlaubt uns jedoch einen Einblick in seine Gedanken- und Assoziationswelt, die dem Leser den Zugang zum weiteren Buch erleichtern soll.
MS