Was passierte dann? Bitte gehen Sie noch genauer auf die ihnen zugedachte Rolle und ihre Tätigkeiten ein.
Nachdem allen Mitstreitern die Gelegenheiten gegeben war, sich mit den Räumlichkeiten vor Ort vertraut zu machen, versammelten wir uns erneut im großen Labor, um der Enthüllung unseres hochgeheimen Auftrags durch unseren gemeinsamen Vorgesetzten, meinen Lehrmeister Dr. Strohbrück, beizuwohnen. Im Halbkreis um den großen Arbeitstisch sitzend erfuhren wir Folgendes: Man hatte uns zur Entwicklung einer neuen Flugzeugpanzerung berufen. Das Ergebnis sollte eine metallene, gegen Beschuss und Granatsplitter schützende Bodenplatte sein, welche dem Piloten eine sichere Rückkehr – auch über feindliches Gebiet hinweg – garantieren sollte und damit letztendlich den Radius seiner Aufklärungsaktivitäten deutlich erhöhen würde. Hierzu gehört erwähnt, dass Flugzeuge zu dieser Zeit von ausgesprochen leichter Bauart waren und wenig dafür geeignet, Beschuss zu erdulden. Meist waren ihre Außenhüllen aus Gründen der Gewichtsreduzierung und der damit verbundenen günstigeren Flugeigenschaften mit Stoff oder Papier bespannt und boten somit nicht einmal Schutz gegen primitive Steinschleudern – auch wenn sie sich diesen höchstselten ausgesetzt sahen.
Kurz fühlte ich ein Vakuum der Enttäuschung sich meine Speiseröhre empordrängen. Statt einer plumpen Bodenpanzerung hätte ich meine Talente lieber der Konstruktion einer neuartigen Bombe oder eines sich darin befindlichen Kampfstoffes gewidmet. Nicht erahnen zu können, welche großartigen Entdeckungen wir dieser Aufgabenstellung zu verdanken haben würden, war meiner mangelnden Vorstellungskraft geschuldet, wie ich unumwunden zugeben kann.
Jeder Beteiligte – Karl Tappen ausgenommen – war aufgrund seiner Expertise sowie seines zu erwartenden hochqualifizierten Beitrags zur Lösung der vor uns liegenden Herausforderungen abkommandiert worden. Im Besonderen Walters und meine Aufgabe zielte darauf ab, die Verschweißung der Bodenkonstruktion zu konzipieren und zu optimieren. Als Vorbild sollten uns hierbei jene Fortschritte gelten, die man zuletzt in der Konstruktion neuartiger, verschweißter Schiffsrümpfe gemacht hatte. Entgegen meinen eigenen Erwartungen wurde ich mit der Zeit ein ganz passabler Schweißer, da Karl ein nervöses Zittern in der rechten Hand vorschob, Ernst die Bauzeichnungen zu übernehmen pflegte und Walter sich als Koordinator nicht in der Position sah, solcherart Knochenarbeit zu übernehmen.
Mir wurde gewahr, wie selten der Mensch auf die Ausführung von Schweißnähten zu achten pflegt, was mich nicht nur in Erstaunen versetzte, weil sie Fahrzeuge, Brücken und Häuser in stiller aber todsicherer Weise zusammenzuhalten vermögen. Auch lernte ich ihre besondere Schönheit zu ehren, welche in ihrer höchsten Form den erstarrten Lauf eines, alle Farben spiegelnden Tropfens nachzeichnen, der sich in natürlicher Unregelmäßigkeit zu einer kleinen, matten Narbe über die zwei verbundenen Elemente wölbt.
Mit großem Ernst machten wir uns umgehend ans Werk und so waren die folgenden Tage bereits geprägt von emsigem Planen und Entwerfen. Ich kann ohne großes Eigenlob für uns in Anspruch nehmen, bereits in den ersten Wochen recht erfolgreich gewesen zu sein. Schnell nahm eine ausgeklügelte Konstruktion von Querverstrebungen und wellenförmigen Schweißnähten Form an. Wir montierten sie umgehend unter einer der neuen Fokker-Maschinen, die uns als Aufmaß ebenso wie als Versuchsobjekt dienen sollten. Hierbei stießen wir auf einen physikalischen Widerspruch, der unsere zukünftige Forschungsarbeit maßgeblich prägen sollte:
Fertigten wir die Bodenbleche in einer Stärke, die gemäß den Anforderungen der Heeresleitung zuverlässigen Schutz vor Beschuss bot, war es der Fokker aufgrund des zusätzlichen Gewichts nur unter günstigsten Wetterverhältnissen möglich, sich von der Startbahn zu lösen und einen stabilen Flug zu absolvieren. Reduzierten wir Gewicht und damit die Blechstärke wurde der Flugzeugboden allzu leicht durchschlagen und der schützende Effekt war dahin.
Es wollte uns kein befriedigender Kompromiss zwischen diesen beiden Eigenschaften gelingen, bis wir in zunehmender Verzweiflung einen Vorschlag ernsthaft zu verfolgen begannen, den ich, wie ich zuzugeben bereit bin, eines Abends mit vor Erschöpfung vernebeltem Geist den anderen gegenüber geäußert hatte. Damals phantasierte ich von einer zu konstruierenden Verschalung, die nicht nur am Unterboden des Flugzeugs zu installieren wäre, sondern rundum eine komplett abschließende Hülle darstellte. Diese starre Außenhaut wäre man anschließend in der Lage mit Wasserstoff zu fluten, um den benötigten Auftrieb gleich einem Luftschiff mithilfe des Füllgases zu erreichen. Heraus bekäme man eine vielversprechende, völlig neue Flugzeuggattung, die zugleich deutlich kleiner als ein Doppeldecker zu sein verspräche, und dabei alle Flugeigenschaften seiner herkömmlichen Konkurrenten zu übertreffen die Chance hätte. Wir fertigten die ersten Konstruktionszeichnungen unter dem Arbeitsnamen “Sperling“ an. Ernst entwarf umgehend ein passendes Emblem, das unser neues Flugzeug am Heckruder markieren sollte. Es zeigte einen Vogel, der seinen Flügel zur Abschirmung dessen emporreckte, was sein zierlicher Schnabel in die Welt hinaus zu verkünden hatte: Sieg!