Hatten Dr. Strohbrücks Anbiederungsversuche ihrem Vater gegenüber Auswirkungen auf das Gefüge ihrer Einheit?
Ich kann getrost behaupten, dass Walters unwürdiges Verhalten unsere Truppe gehörig durcheinander wirbelte. Wenngleich ich ebenfalls gestehen muss, dass meine eigene Reaktion, in keinem Maße souverän ausfallend, kaum ungeeigneter hätte sein können, um das feine Gleichgewicht unter uns Forschern zu stabilisieren. Walter hatte in meinen Augen den schlimmsten nur denkbaren Verrat begangen, indem er meinem Vater zu gefallen suchte – woraufhin ein weiteres Mal meine Neigungen sich Bahn zu brechen drohten, um gegenüber den Anwesenden Momente größter Verletzlichkeit zu offenbaren.
Dieser meiner Befürchtung zuvorkommend suchte ich noch am selben Abend die Einsamkeit und versteckte mich mit einigen Decken und etwas Proviant auf dem Speicher des Haupthauses. Dort war neben einigen Körben und Kisten keinerlei Einrichtung zu finden und nur ein kleines, kreisrundes Fenster am vorderen Giebel erlaubte einen Blick hinaus auf die Felder und die Landebahn. Drei Tage haderte ich mit der Welt. Ernst fand mich schließlich dort sitzend und hinaus starrend, ganz als wäre ich bemüht, mich meines Körpers zu entziehen und mich mitsamt meines Geistes in einem Akt höchster innerlicher Akrobatik entlang der Achse meines Blickes aus dem Dachboden hinaus in den Wald zu hangeln.
Wie Ernst mir berichtete, war meine Abwesenheit nicht lange verborgen geblieben. Unter größter Bestürzung hatte sich ein jeder unserer Kameraden an der Suche nach mir beteiligt. Und da über mein Verbleib Unklarheit herrschte, war erst einmal das Schlimmste anzunehmen. Bald kursierten ganz phantastische Erklärungen über mein Verschwinden, von denen mir einige – wie ich zu gestehen bereit bin – imponierten und auch schmeichelten. Offenbar befürchtete man sogar eine Entführung meiner Person durch französische Agenten, welche ausgesandt worden waren, um mir unter schrecklichster Folter unsere Forschungsergebnisse zu entlocken und anschließend noch ein hübsches Sümmchen mit meinem wohlhabenden Nachnamen zu verdienen.
Nachdem Ernst seinen Bericht geschlossen hatte, wagte ich lange Zeit nichts zu sagen. Stumm wie die Fische saßen wir am Giebel und blickten durch das kleine Bullauge hinaus auf die Welt der Anderen. Schließlich durchbrach ich das Schweigen, indem ich Ernst die Gelegenheit gab, meinen Ärger auf Walter aus erster Hand zu verstehen. Nachdenklich lauschte er meinen Ausführungen und wie ich es still gehofft hatte, waren wir beide ganz ähnlicher Art und teilten viele der Bedrängnisse und Prägungen, welche ich bis zum damaligen Tage als ganz allein mir zugehörig verstanden hatte.
Ernst war als Künstler geboren worden. Folglich zeigte er sich gänzlich ungeeignet für jene Ausbildung als Luftfahrtingenieur, in die sein Vater ihn hinein befohlen hatte. An der polytechnischen Hochschule in Kiel hatte er mehrere Jahre gelernt und gelitten – gleichermaßen in steter Auflehnung gegen die ihm Vorgesetzten wie in blanker Missachtung seiner Kommilitonen. Schnell wurden wir der unsichtbaren Bande gewahr, die unser beider Leben miteinander verbanden und innerlich wuchs meine Bewunderung gegenüber diesem jungen Mann, der trotz härtester Prüfungen im Stande war, mit Verachtung und in ruhiger Wut auf seine Peiniger hinabzublicken.
Später präsentierte Ernst mir seine Malerei, die er selbst unter den widrigen Umständen in Wahn weiter zu praktizieren imstande war. Tief beeindruckten mich seine Studien exotisch-futuristischer Arrangements im Stile Paul Gaugins ebenso wie einige gewagte Darstellungen junger Frauen und Männer, welche sich ihrer Natürlichkeit inmitten einer utopischen Idylle nicht schämten.
So demütigend die geschilderten Vorfälle mir in meiner damaligen Verfassung erschienen, brachten sie doch etwas Gutes mit sich, da sie Ernst und mich einander erkennen und verstehen ließen, so dass wir von nun an ein vorbildliches Gespann ergaben, gleich zweier Erbsen in einer Schote.
Hierzu sehe ich mich verpflichtet eine weitere Sache zu erwähnen, welche im weiteren Verlauf der Ereignisse nicht unerheblich scheint:
Die Abkehr von Walter erlaubte mir in den folgenden Wochen ganz eigene Gedanken zum Sperling zu verfolgen, welche zuvorderst einem äußerst störenden Effekt entgegenwirken sollten, in dessen Folge sich die Testkapsel immer wieder auf den Rücken zu drehen begann, so dass der arme Rattenpilot in höchster Irritation kopfüber in seiner Kanzel baumelte.
Der hieraus resultierende, neue Prototyp ◊Alpha-Sperling“ entbehrte ein klassisches Cockpit. Der Pilot wurde durch eine Klappe in den Flugzeugrumpf geschoben, welcher einem Torpedo immer ähnlicher wurde. Die Ratte befand sich nun in einem versiegelten Raum, welcher über ein Ventil mit Helium befüllt wurde. So lag der tapfere Nager ganz unnatürlich in einer Gasblase und bezog den für ihn lebensnotwendigen Sauerstoff durch eine speziell konstruierte Beatmungseinrichtung. Tagelang tüftelte ich an einer Gasmaske, die speziell auf die kleinen Schnauzen zugeschnitten war.
Mit dem Ziel Walter zu düpieren, schloss ich ihn weitestgehend von der Entwicklung dieses Modells aus. Er strafte mich mit kleinen Zetteln, welche er nachts an unsere Labortür zu heften pflegte. Auf ihnen notierte er Konstruktionsfehler des Alpha-Sperlings, welche gerade in jener Zeit zuhauf vorhanden waren. Einer jener Fehler – notiert auf Zettel 94 – zeichnete sich jedoch verantwortlich für den historischen Durchbruch, den anzudeuten ich mich seit Beginn nur schwer zurückhalten kann und der nun zu seinem Recht auf Erwähnung kommen soll!