Schildern Sie uns Ihre Ankunft in Stralsund. Welchen Eindruck gewannen Sie von der Stadt und welche Konflikte ergaben sich für Sie?
Als wir den Stralsunder Bahnhof am späten Abend erreichten, regnete es schon seit geraumer Zeit in Strömen. Walter und ich hatten es uns in unserer Kabine gemütlich gemacht und jeder für sich hatte einen Weg gefunden, die Reise so behaglich wie möglich zu gestalten. Für mich bedeutete dies, stundenlang den Blick nicht von der Scheibe abgewandt zu haben, an der die dicken, norddeutschen Regentropfen horizontal und damit parallel zur uns umgebenden Landschaft entlang liefen. Sie schillerten in immer tieferem Orange-Violett, nachdem die Sonne sich hinter eben jener triefnassen Feldmark gesenkt hatte, die wir mit unserem stählernen Transportmittel wie mit einem Gemüsemesser durchschnitten.
Planmäßig gegen Mitternacht erreichten wir den Stralsunder Bahnhof. Keine Menschenseele war zu finden als wir auf den gepflasterten Bahnsteig hinausstiegen. Erst nach einigen Minuten zeigte sich am Eingang des Bahnhofsgebäudes einer jener einheimischen Tagelöhner, welche wir zu unserer Ankunft in größerer Zahl auf dem Bahnsteig erwartet hatten, um unser Gepäck in Empfang zu nehmen. Dem nun einzig uns zur Verfügung stehenden Exemplar konnten wir mit einigen Münzen unseren Plan schmackhaft machen, das bereits vollständig aus dem Zug geschaffte Gepäck zum Hotel zu befördern, das einige Meter hinter dem Bahnhof liegen sollte.
Der bemitleidenswerte Herr jedoch rutschte auf dem nassen Untergrund aus, beladen wie ein Esel, und wäre beinahe ins Gleisbett gestürzt, hätte ich ihn nicht gerade noch am Kragen seiner völlig durchnässten Cordjacke packen können. Schlimmeren Verletzungen nur knapp entkommen, hatte er sich jedoch seinen Knöchel solcherart verdreht, dass es ihm unmöglich wurde, unsere Koffer den noch verbleibenden Weg zur Unterkunft zu schaffen. Weder Drohungen, ihm den vereinbarten und bereits gezahlten Lohn wieder zu entziehen, noch die Aussicht auf eine deutliche Erhöhung der Summe konnten ihn aus seiner invaliden Lage locken.
Unter einiger Anstrengung wuchtete ich nun also allein unser beider Ausrüstung hinüber zum Strelasunder Hof und dort in den ersten Stock, wo die HAW bereits unsere Bleibe der nächsten Tage und Wochen organisiert hatte. Eine ältere Dame im Morgenrock bemühte sich uns die Schlüssel hierfür auszuhändigen. Der Regen trommelte ein Stakkato auf das dünne Holzdach der Eingangshalle, unter dem wir in ein Treppenhaus schritten, durch welches ein kleiner Bach seinen Weg von der unverputzten hinteren Wand entlang zu den hölzernen Stufen einer schmalen Treppe bahnte, entlang der auch wir unseren Weg zu den Zimmern zu finden hatten. Vom Dach her gluckerte und rauschte es derart, dass mich die Angst packte, das Haus würde im Verlauf dieser unserer ersten Nacht bereits fortgespült in die unbarmherzige See oder zumindest einstürzen und uns unter seiner maroden Konstruktion begraben. Nichts dergleichen geschah jedoch. Vielmehr betraten wir unser Zimmer, das in Qualität und Ausstattung leider keine weiteren Überraschungen bereithielt und wir fielen sogleich in einen klebrig-unruhigen Schlaf.
Gleich am nächsten Morgen, noch bevor wir unser ebenfalls recht mageres Frühstück einzunehmen uns entschieden, machte Walter sich auf die Suche nach der kleinen, gusseisernen Reiseschreibmaschine in seinem Gepäck, stellte sie auf den Tisch und befahl mich an die Tasten. Er diktierte mir einen solcherart gepfefferten Brief an die Werksleitung daheim in Offenbach, dass ich ihn während des Tippens ab und an entschärfen musste – auch wenn ich den Vorwürfen inhaltlich durchaus zustimmte.