Wie bewerten Sie die Dynamik innerhalb der Gruppe im Verlauf der folgenden wochen?
Mir entging nicht, dass Ernst auf Grund seiner geschilderten Verfehlung in ganz besonderem Maße bemüht war, die vorhandenen Irritationen auszuräumen. Es war in der Tat so, dass die neue Zusammensetzung unserer Gruppe einem zögerlichen, abwartenden Umgang miteinander Vorschub geleistet hatte. Jedoch wurden durch diese veränderte Konstellation auch neue Facetten in jedem Einzelnen unserer kleinen Truppe sichtbar, die mir zuvor verborgen geblieben waren.
So wurde mir erst im Laufe dieser nun folgenden Treffen bewusst, dass Ernst eine Vorstellung gesellschaftlicher Ordnung vorschwebte, die Newts Vision einer Schicht fliegender Übermenschen sehr ähnlich war. So sponnen beide an einer Strategie, eine, mit Helitamin geförderte deutsche Adelsschicht zu restaurieren, die mir selbst fremd war und die auch nicht recht Platz in meinen Vorstellungen unserer zukünftigen Gesellschaft finden mochte. Die beiden – oder besser die drei, denn Hildi wiederholte wie erwähnt jeden Beitrag ihres Gatten mehr oder minder korrekt – dominierten mit ihrer Idee eines monarchischen Neuanfangs den Diskurs der nächsten Wochen. Kienzle, der seit Wochen eine vorausgefüllte Patentanmeldung in der Schublade verwarte, wurde nach anfänglicher Dominanz in den Hintergrund gedrängt, mit seiner Idee von Helitamin als Genussmittel. Er saß in seine Kutte gekleidet am Tisch und ließ nur ab und zu ein verächtliches Grunzen verlauten, wenn Begriffe wie Weltgeist, Wiederkehr oder Todessehnsucht fielen.
Auch Walter war diese Fragmentierung der Interessen aufgefallen und sie beunruhigten ihn, wie er mir einmal nach einem solchen Treffen schilderte, während wir die Möbel unseres Salons wieder an ihren rechten Platz rückten. Während der Treffen war er ebenfalls still geworden. Die von ihm verfassten Protokolle unserer Sitzungen waren übersäht mit kleinen Strichmännchen, Mustern und Ornamenten. An manche Notizen hatte er einen kleinen Totenkopf gezeichnet, an andere einen Blitz oder eine Wolke.
Die Dynamik innerhalb unserer kleinen Gruppe war nun solcherart geprägt, dass stille Aggression, Misstrauen und Missgunst den Ton bestimmten. Hildi und Newt der Gruppe wieder zu verweisen war uns bereits nach dem ersten Treffen als zu riskioreich erschienen, was nicht nur meinen Ärger auf Ernst weiter befeuerte, sondern auch Walters und Kienzles Ärger auf meine eigenmächtige Einladung.
Rückblickend kann man sagen: bereits nach kurzer Zeit sahen wir uns außer Stande eine gemeinsame Linie zu finden, um auch nur einem einzigen unserer zahlreichen Pläne zur Umsetzung zu verhelfen.
Jedes der Treffen, die immerhin noch in regelmäßigen Abständen in unserer Bleibe im Club Royal stattfanden, musste in stiller Verzweiflung ohne weitere Beschlüsse beendet werden, so dass schlussendlich sechs niedergeschlagene, jedem anfänglichen Elan beraubte Menschlein übrigblieben, die – zu schwach, um sich auf anständige Weise zu verabschieden – still ihrer Wege krochen. Sicherlich muss hierbei jedoch auch der stetig steigende Konsum unserer Helitaminproben gegen Ende einer jeden Sitzung Erwähnung finden. Denn die mit unseren Treffen verbundenen Testreihen am lebenden Objekt, wenn auch mit einem glücklichen Gefühl des schwebenden Zustandes belohnt, waren doch auf eine ganz und gar neue Art kräftezehrend. In besonderem Maße schien mir Freymuth Kienzle durch diese Anstrengungen gezeichnet, war er doch von seiner körperlichen Beschaffenheit her gänzlich ungeeignet für sportliche Ertüchtigung jeglicher Ausprägung.